Unsinkbares Loveboat. Animation professionelle am Poolrand. Signale aus der Tiefsee: Die Band ist ein Phänomen, Stadtwunder, und nur in Paradoxien zu beschreiben. Sie entwirft sich in Songs und Kostümen laufend neu, durchschlüpft überkommene Posen mit prächtiger Lust und manövriert sich immer wieder in Zeitwidersprüche: Vergangenen Mustern gerade entkommen, der jeweiligen Zeit voraus, lässt sie sich live spielend heftig von der Gegenwart einholen.
Gewiss ist: Auf ihrer verschwenderischen Suche steuern die Dirty Slips den sensorisch-motorischen Bereich umschweiflos an: Bewegungsauslösung, Kippschmelze, es entsteht plötzliches Band-Publikumsfieber, die Spielenden schimmern auf, werden sekundenweise übergross (bis zu drei Meter), weltbekannt, zwingend frei, Perlen fliegen.
„Schweiss sei gut, sagt Sängerin Francesca Tappa. So könnten Grenzen aufgelöst werden. Zurückhaltend habe sie das Publikum noch nie erlebt…. Die Katharsis finde immer irgendwann statt.“
(Tages-Anzeiger, 12.Oktober 2023)
Im Refrain des neuen Songs Chocolat (auf ANIMA) werden über frischsicherem Groove Silben aufgeschmolzen, mit Zungenlust und Konsonantenfreude Vokale herausgelöst, sodass sich flüchtige Zwischenbedeutungen ergeben, in zeitgemässer Ambivalenz. Die Sängerin, Zeremonienmeisterin, Löwin, die Löw*innen bändigt, lässt Sprengsel über Band und Publikum regnen:
„Ob ich es will oder nicht, ich will es, will ich es/ Will ich es, es will mich“
„Wir machen Dirtyslipismus. Dreckig, nicht rein.“ (Tages-Anzeiger)
Und bestechend präzis, könnte man anfügen. Denn in den letzten zehn Jahren hat sich die Band zu einer ausserordentlichen Groove-Sektion zusammengeschliffen. Das Ergebnis der Expeditionsarbeit in der Discothèque irrationnelle: die erste LP ANIMA - die Band, die sich in einer Vorwärtsbewegung sieht, arbeitet zugleich beflissen archivarisch, betreibt auch das mensch-elektrische Lexikon der letzten rhythmischen Jahrzehnte.
Archetypisches Nacht-Inselleben. In grosser Ernsthaftigkeit lustig:
Obwohl die Band immer wieder alles herzeigt (scheinbar), lässt sie sich stets neu entdecken: Zeilen und Muster tauchen auf, andere werden in dieser grossen Verausgabung gegengleich geschützt (wahrscheinlich) und verborgen, basal gebannt, tiefenrhythmisch eingeschrieben. Es lohnt sich nachzutauchen.
Im Dirtyslipismus finden sich Lösungen für letzte Schlacken.
Wer im Stimmengewirr unzähliger Zürcher Sommerfeste nicht untergegangen ist, immer Wellengang gefunden hat, kann es überall schaffen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieses Band-Phänomen einer anderen Stadt in der ganzen Pracht erscheinen wird, zum Beispiel in Paris. Vielleicht auf Madagaskar.
(Text: Peter Weber / Bild: Shirana Shahbazi)