Begrenzte Freiheit als Kunstform: das Michael Wollny Trio und die lebenden Geister

Marian Märki05-14-20253 min. Lesedauer

Das Michael Wollny Trio gastiert mit seinem neuesten Album «Living Ghosts» im Juni im Moods. Was frei klingt, ist aber dennoch in sich begrenzt. Wie kann dieser Widerspruch funktionieren?

Das Trio mit Bassist Tim Lefebvre und Drummer Eric Schaefer ist für den Pianisten Michael Wollny die Konstante in seinem sonst stetig wandelnden Kollaborationskosmos. Mit Schaefer beispielsweise musiziert er bereits über zwei Jahrzehnte. Die drei Musiker verfügen über ein schier unerschöpfliches musikalisches Vokabular, eine herausragende Sensibilität im Zusammenspiel und die Fähigkeit, aus dem Moment heraus immer wieder neue Musik von ungeheurer Spannung und Dynamik zu kreieren.Das beweisen sie auch auf dem neuen Album «Living Ghosts», welches aus vier langen Sets mit frei aus der Vorlage heraus entwickelten Stücken besteht. Die Themen, die darauf oft nur angedeutet werden, kommen von überall her: Alban Berg, Paul Hindemith, Nick Cave, Duke Ellington, Guillaume de Machaut oder von Wollny selbst.
Das Ziel ist ungewiss
Doch wie muss man sich das Musizieren unter dieser Prämisse vorstellen? «Wir gehen auf die Bühne und kennen unser Repertoire, wissen aber nicht, wer beginnt, wohin es uns führt, ob wir alle Stücke spielen oder ganz andere, ob wir frei spielen», erklärt Wollny gegenüber dem deutschen Magazin «Jazzthetik». Alles sei in einen Fluss miteinander geraten und habe ihnen eine ganz andere Form des Musizierens ermöglicht. Alle können in jedem Moment eine Entscheidung treffen, um die Band in irgendeine andere Richtung zu führen.
Die «Geister», die auf «Living Ghosts» beschworen werden, sind die jeweiligen Kernaussagen der Stücke. Das kann eine Kadenz sein, eine Tonfolge, eine Situation auf der Bühne oder auch ein bestimmter Move von einem der drei Musiker. Wollny gerät dabei ins Schwärmen: «Tim kann über eine Bassnote die Tonart infrage stellen, und dem folgen wir dann. Eric kann ein neues Tempo etablieren oder ein neues Metrum. Und plötzlich sind wir in einem anderen Stück.»Das Schaffen des Trios ist durchdacht und dennoch intuitiv. Im Gespräch könne er zwar alles analytisch beschreiben, so Wollny, doch im Prozess gehe es um «Dinge, die man im Nachhinein zwar rekonstruieren kann, die aber im Moment ganz intuitiv ablaufen.» Wollny vergleicht es mit Tanzen: «Da denkt man auch nicht über jeden Muskel nach, sondern folgt halt dem anderen.»In Grenzen die Freiheit finden
Was nun so weitlaufend klingt, ist dennoch abgesteckt. Denn ohne Grenzen gehe es laut Wollny nicht: «Improvisation oder Kreativität entstehen ja innerhalb von Grenzen. Wenn man grenzenlos alles machen kann, ist es bedeutungslos. Du brauchst eine Form.» Das freie Spiel des Trios sei eigentlich immer ein Austausch. Sie würden sich gegenseitig die Mittel limitieren, mit denen sie hantieren können. So entstehe dann «die Freiheit in dieser Begrenzung von Möglichkeiten, die man im Moment hat».
Der Jazzpianist vergleicht den musikalischen Prozess mit einem Steinbruch. Dort könne man auch immer wieder einzelne Steine herausschlagen. Diese werden dann bearbeitet und mit anderen Steinen zu einer Architektur zusammengefügt. Beim nächsten Konzert werde ein anderer Stein genommen und es entsteht ein neues Objekt. «Es ist erstaunlich, wie viele faszinierende Bauwerke man aus einem einzigen Steinbuch zusammensetzen kann», schliesst Wollny die Metapher ab.Betrachtet man das Bauwerk «Living Ghosts», sieht man diese vielen kleinen Steine. Seien es lyrische Parts, Grooves, Arpeggien-Regen oder Teile, die an freie Experimente anderer Jazzgrössen erinnern. Das Album lädt zum Hinhören ein und verrät durch die Musik selbst etwas über die Prozesse und Rahmenbedingungen, die es für profundes Improvisieren braucht. Die unterschiedlichsten Dinge passieren. Es fühlt sich an, als würde man sic in ein Gespräch vertiefen, bei dem der Ausgang noch offen ist.

Das Michael Wollny Trio im Moods

  • «Living Ghosts 2025»

    • Michael Wollny Trio

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